Die Hölle
von Wiedlisbach oder: 727 km auf dem Zahnfleisch |
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Tja, ich hab's schon
woanders geschrieben. Nur der Vollständigkeit
halber also der Nachtrag zu Wiedlisbach-Bodensee-Bern,
der diesjährigen Europameisterschaft auf der
Langstrecke.
Und lang war's tatsächlich, jedenfalls für mich.
Als ich nach 610 km und 22:30 Stunden wieder am
Start/Ziel stand, dem Mann am Kontrollpunkt
meinen Mess-Chip gab und er fragte: "Und, fährst
Du die 110 noch?" (wir RAAM-Qualifikanten
sollten nochmal 110 km dranhängen, um die 720
vollzumachen), da hatte ich gute Lust, mit einem
kräftigen "Nein!"den Abmarsch gen
Dusche und Bett anzutreten. Eine halbe Stunde
wurstelte ich im Zielbereich rum, cremte mich
nochmal mit Sonnenmilch ein, futterte und trank,
schnallte endlich Beleuchtung und etliche überflüssige
Riegel vom Rad und rang mich dann durch, zur
finalen Runde zu starten.
Dabei lief am Anfang alles wunschgemäß: gute
Anreise (entspannte rund 4 Stunden), gleich nette
Kompagnons im Zug getroffen. Viel Zeit, um die
Unterkunft zu inspizieren und abends "Pasta-Party".
Der Start: alles paletti. Wie ich's mir dieses
Jahr angewöhnt habe gleich nach ganz vorne
gefahren, auf den ersten 20 km, wo
Windschattenfahren noch erlaubt war, mit 4, 5
anderen abgewechselt, mit gutem Rückenwind erst
40er Schnitt in der Ebene, dann am ersten Berg
des Tages auch noch gut vorne mit den ersten
dabei.
Aber ich weiss nicht wieso, schon am 2. Berg nach
etwa 80 km lief's nicht mehr glatt, ich wurde 2x
überholt, und obwohl ich an den ersten 3
Kontrollpunkten nur jeweils 2-3 Minuten für Chip-Kontrolle
und Flaschenauffüllen anhielt, wanderte ich von
Platz 3 oder 4 immer weiter nach hinten.
Zunächst dachte ich noch, dass sich die andern
sicher übernehmen, aber so schnell fuhren die
gar nicht. Als es dann ewig bei Gegenwind am
Bodenseeentlangging (unter anderem durch Scherzingen,
das mit einem großen Schild seinen "Ulle"
grüsste und ebensowenig wie ich wusste, dass er
einen Tag später schon wenig glorreich von
Frankreich zurück sein würde...) verging mir
immer mehr die Lust. Und die kam danach auch
nicht mehr.
Was bleibt zu erinnern?
Der nette Kumpel, mit dem ich nachts eine Weile
fuhr (streng regelkonform nebeneinander, ich war
schon einmal von einer Fahrer-"Mutti"
angeblafft worden, weil ich mit 5 m Abstand hinter
einem andern fuhr) und der meinte, er sei nur zum
Spaß da, er fahre ja momentan im Jahr nur noch 3-6000
km, früher sei er halt Elitefahrer gewesen, das
reiche aus... Und den ich nach dem nächsten KP
dann auch noch aus den Augen verlor...
Der längere Halt in Sargans nach 340 km, wohin
ich mir meinen Rucksack hatte bringen lassen und
wo es Spaghetti gab - endlich mal was Salziges,
nachdem ich die süße Zuckerbrühe an den
anderen KP schon lange nicht mehr leiden konnte
und auch meine eigenen Gels und Riegel kaum noch
runterbekam. Hier machte ich eine gute 1/2 Stunde
Rast, aber danach ging's trotzdem nicht viel
besser...
Der Kerenzerberg und der Sattelin der Nacht, mit
Höhenunterschieden von 300-500m eigentlich
"Peanuts", die mir trotzdem so gar
nicht schmeckten diesmal...
Und dann endlich wieder Tag, mit kaum noch
Bergen, neuerlich stark auflebendem, böigem Wind
(genannt "Bise") und teilweise
Geschwindigkeiten von 23-26 in der Ebene. Mein
Schnitt war von anfänglichen 34 auf 32 und
schließlich 29 runtergegangen, als ich mich
endlich nach 600 km zum Ziel, das ja eigentlich
keins sein sollte, kämpfte, kaum noch sitzenkönnend,
weder hinten noch vorne für den Aerolenker.
Zu der Extrarunde für uns RAAM-Qualifikanten(obwohl
ich ja längst qualifiziert bin) ist nur zu
sagen, dass ich für die 110 km 5 1/2 Stunden
brauchte (!) und jetzt auch von allen 110km-Randonneur-Fahrern,
die mittlerweile unterwegs waren, überholt
wurde, mich alle 20 km irgendwo in den Schatten
setzen musste, weil ich's im Sattel und in der
Sonne nicht mehr aushielt, und ständig zählte,
wieviel km ich noch durchhalten musste. Ich hatte
mir die Extrarunde nur aus 2 Gründen überhaupt
noch zugemutet:
1. war ich erstaunlicherweise immer noch auf dem 9.
Platz (weil es extrem viele Aufgaben gab, wie ich
jetzt weiss) und wäre, würde ich nach 600 km
aufhören, völlig umsonst so lange allein ohne
Windschatten gefahren: denn auf der 600km-Runde
("Eilte") war Windschatten erlaubt, da
fuhr niemand allein
2. wollte ich einfach mal ausprobieren, ob man
noch irgendwie radfahren kann, wenn man
eigentlich schon seit Stunden völlig kaputt ist
(man kann, aber man fährt halt wie ein übergewichtiger
Gelegenheitsfahrer, und man braucht einen guten
Rest Selbstvertrauen, um mit ZIPP-Laufrädern und
Aerolenker mit einem 23er Schnitt durch die
Gegend zu tuckern)
Schluss mit dem Trauerspiel, noch das unspektakuläre
Resultat:
10. Platz von 35 gestarteten (inkl. 3 Frauen!),
20 im Ziel, also 15 Aufgaben
28:23 Stunden unterwegs, 25:59 davon im Sattel
und damit fast 5 Stunden länger als der Sieger,
Hans Narr (!)
So, das reicht dann erstmal mit der Rennsaison,
die Luft ist raus.
Jetzt ist ausspannen angesagt: Reni und Cosmas
fahren in den Urlaub. Wohin? In die Alpen, wie
jedes Jahr. Aber mit Reiserad und Packtaschen und
ohne Stress. Vielleicht kommt dann der Spaß am
Radfahren auch wieder. |
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