Der Bericht von Ruedi Schoch

Was verbirgt sich hinter dieser Affiche? Ein Radmarathon von Bern an den Bodensee und zurück nach Bern! 615 km mit dem Fahrrad in 40 Stunden. Verrückt oder Realität. Wer soll das bewältigen?

Am Freitagmorgen um 3.30h klingelte der Wecker. Ein ausgiebiges Frühstück war angesagt. Ein Freund chauffierte mich nach Bern. Am Start traf ich zufällig einen Bekannten aus dem Trainingslager von Spanien, Hanspeter mit Vornamen. Von ihm wusste ich zwar das er sich auch für dieses verrückte Unterfangen angemeldet hatte. Wie das Schicksal oder auch der Zufall spielt, wir vereinbarten ohne grosse Worte eine Fahrgemeinschaft. In forschem Tempo fuhren wir los. Die Kräfte waren auch ausreichend vorhanden.

Die erste Etappe führte uns über den Oberen Hauenstein nach Waldenburg. Essen und Trinken hiess die Devise. Wir waren 15 Minuten zu früh am Check Point und mussten uns gedulden den Kontrollstempel zu erhalten.

Das nächste Teilstück führte uns über Liestal dem Rhein entlang nach Koblenz. Auch dort waren wir 45 Minuten zu früh. Fuhren wir zu schnell? Diese Frage liess sich nicht abschliessend beantworten zu diesem Zeitpunkt.

Nächstes Teilziel hiess Ewattingen im Schwarzwald. Ueber die Grenze nach Deutschland via Waldshut führte die Strecke durch den schattigen Wald. Stetig steigend bis auf 860 m. Bereits waren 177 km zurückgelegt.

Ramsen SH, um diesen Ort kreisten unsere Gedanken nach Verlassen von Ewattingen. Einer kurzen Abfahrt folgten 2 steile Aufstiege mit über 15% Steigung. Da sind schon die Fragen über Sinn und Unsinn eines solchen Unterfangens. Aber auch das geht vorbei und glücklich erreichten wir Ramsen. Zu unserem Erstaunen waren wir die Ersten die diesen Punkt erreichten. Die anderen hatten sich anscheidend verfahren im Schwarzwald.

Nun noch ein Teilziel bis zur Hälfte der Prüfung. Bei Stein am Rhein überquerten wir den Rhein und fuhren entlang des Bodensees bis nach Rheineck. Dort bestand die Möglichkeit zu schlafen und die 2 Hälfte am Tag danach zu absolvieren. Ich hatte mich vorbereitet für Uebernachten und Weiterfahren. Der Entscheid musste vor Ort gefällt werden. Ich entschloss mich für die sofortige Weiterfahrt. Das hiess aber auch die Nacht über auf dem Rad zu verbringen. Licht zu montieren und die Kleider entsprechend zu wählen. Da ich ohne Begleitfahrzeug an dieser Prüfung teilnahm war das entscheidend. Regen oder nicht, kalt oder warm, lang oder kurz? Wie war der Wetterbericht? Er verhiess Regen in der Nacht mit Temperaturen um die neun Grad.

Ueber Oesterreich und das Fürstentum Liechtenstein führte uns das nächste Teilstück nach Sargans. In Hohenems war die Dämmerung bereits soweit, dass wir das Licht einschalten mussten. Also mit erschwerten Bedingungen weiterfahren. Die Sicht war teilweise miserabel. Die Strassen ohne jegliches Licht und uns unbekannt. Konzentration war gefordert und liess uns auch den Schlaf vergessen. In Sargans erwartete uns dann ein mit viel Liebe eingerichteter Checkpoint. Selbstgebackener Kuchen, welch köstliches Gebäck nach all den Riegel, Biberli, Sandwiches und Bananen. Ein Kaffee mit einem hervorragenden Apfelkuchen liess uns vergessen, dass es bereits Mitternacht war und wir seit 18 Stunden unterwegs waren. Die 400 Kilometermarke erreicht. Zwei Drittel also schon zurückgelegt. Aber das beschäftigte uns nicht.

Wir orientierten uns nur nach dem nächsten Teilziel: Pfäffikon via Kerenzerberg. In völliger Dunkelheit einen Pass zu überqueren war eine völlig neue Erfahrung. Die Steigung ist nicht ersichtlich, man spürt nur in den Beinen wie steil der Aufstieg ist. Die Abfahrt ist nicht wie üblich ein Vergnügen sondern erfordert höchste Konzentration. Geschwindigkeit stand nicht im Vordergrund, vielmehr Vorsicht und massvolles Tempo. Erfreulich dann die Strassenbeleuchtung von Näfels bis Pfäffikon. Kurz vor Erreichung des Etappenziels setzte der angesagte Regen ein. Heisse Bouillon wärmte uns auf am Checkpoint. Es war 03.00h Samstagmorgen.

Regenjacke anziehen und weiterfahren zum Etappenziel: Emmenbrücke via Sattel. Der Regen war fortan unser Begleiter und unsere Körperwärme sank bis zum Frieren. Die Kleider durchnässt vom Schwitzen und dem aufspritzenden Wasser trugen dazu bei. Die Abfahrt vom Sattel wurde so wortwörtlich zur Zitterpartie. Am Zugersee entlang konnten wir uns wieder erholen. Via Risch und Inwil erreichten wir die Sportstätte Gersag in Emmenbrücke. Heftiger Regen prasselte auf das aufgestellte Zelt. Jetzt war uns die Erreichung unseres gesteckten Zieles nicht mehr zu verwehren. Uns fehlten noch 92 Kilometer bis Bern. Unterteilt in 2 Etappen.

Malters, Wolhusen, Willisau, Huttwil (kurzer Boxenstopp an einer Bäckerei, frischer Nussgipfel und ein Getränk) nach Affoltern im Emmental. Das waren die Eckpfeiler der zweitletzten Etappe. Kurz nach Malters hellte sich der Himmel auf und wir wurden nur noch von unten mit Wasser bespritzt, nicht in kleinen Mengen. Die Strassen waren mit viel Wasser „gepflastert“. In Affoltern i.E., vor der Schaukäserei, war ein seltsamer Speiseplan für Radfahrer auf dem Programm. Käse und Joghurt. Ein gut ausgereifter Emmentaler Käse, was den sonst, auf einer knusprigen frischen Brotscheibe. Eine Delikatesse. Hinterher noch ein hausgemachtes Fruchtjoghurt, mmmh. Wir hatten keine Eile mehr und genossen den Augenblick.

35 Kilometer Radfahren, was sind das doch für kleine Strecken. Doch diesmal waren das Besondere. Durchs Krauchthal fuhren wir unserem Traumziel entgegen. Wir genossen die Landschaft und sogen die frisch gewaschene Luft in uns auf. Ein Traum stand kurz vor der Erfüllung. Eine Minute vor 11.00h, Samstagmorgen, fuhren Hanspeter und ich glücklich durchs Ziel in Bern. Erstaunlich frisch sind wir angekommen und der verdiente Lohn ein fester Händedruck von Freunden. Erst 10 Fahrer waren vor uns angekommen. Viele noch unterwegs im Kampf mit Müdigkeit und Ueberwindung.

Unvorstellbare 29 Stunden waren wir unterwegs. 23 Stunden auf dem Sattel. Zirka 15 Liter isotonische Getränke, 12 Sandwich, etliche Bananen, 3 Liter Bouillon und noch einige Biberli. Das war das „Benzin“ für den menschlichen Motor.

Ein unbeschreibliches Gefühl und innere Befriedigung ist der schönste Lohn für diese Anstrengung.

Nachahmenswert für alle ambitionierten Ausdauersportler.