Dieser Brief wurde durch Adi Zimmermann, seines Zeichens neuer Präsident des Radmarathon, am 13. Mai 2012 veröffentlicht.
Als Gründungsmitglied des Radmarathon und in den vergangenen 11 Jahren Streckenchef und Verantwortlicher für Organisation, Informatik und einiges mehr komme ich nicht umhin, diesen Brief zu kommentieren.

Ein Brief in eigener Sache

Seit ich im November letzten Jahres zum Präsidenten des Verein Radmarathon gewählt wurde, hat sich viel getan. Keinen Stein haben wir auf dem anderen gelassen und uns die grösste Mühe gegeben, alles wieder so aufzubauen, wie ihr es euch gewohnt wart.
Dem neuen OK wurden alle Unterlagen zum Radmarathon zur Verfügung gestellt. Das komplette Beziehungsnetz (Kontrollpunkte, Bewilligungsbehörden, Helfer, Teilnehmerdaten) konnte übernommen werden. Die Strecke wurde zu über 90% unverändert übernommen. Dabei waren alle Unterlagen (GPS-Tracks, Roadbooks etc.)
Die neue Radmarathon-Homepage ist zwar optisch überarbeitet und die Anmeldung modernisiert - dagegen hat die Informationsdichte und Datenqualität abgenommen und die Konsistenz der fremdsprachigen Seiten ist schlechter als in der alten Homepage.

Sven Sturzenegger und ich haben die anstehenden Arbeiten manchmal mehrmals in Angriff genommen. Eine Zeitlang schien nichts zu klappen. Heute, kurz vor der Veranstaltung, glauben wir, einen Radmarathon geschaffen zu haben, der auch in die Zukunft geführt werden kann.
Geschaffen wurde der Radmarathon Ende 2000 - die ersten Statuten wurden im Dezember 2000 unterzeichnet.
Aber ich gebe zu, Sven wird beipflichten, wir haben es bezüglich Aufwand unterschätzt.

Wird es Billig-Brevets vom Radmarathon geben?

Das war eine häufige Frage. Viele haben uns auch geschrieben, sie möchten so etwas auch in der Schweiz durchführen. Das wäre doch absolut simpel und genial. In Deutschland könne man ja an einem Brevet für 15 Euro inkl. Frühstück teilnehmen.
Bemerkung: Der Radmarathon hat kein Exklusivrecht für die Durchführung von Brevets in der Schweiz. Jeder Veranstalter der sich eine Strecke homologieren lässt und die Reglemente des ACP akzeptiert, kann Brevets (auch für 15 Euro) durchführen.

Das stimmt! Das Brevet über 300km beim Schweizer Radmarathon kostet vergleichsweise viel mit CHF 100.00. Seien wir genau... CHF 78.00. Oder das 600km Brevet ist bei uns ab CHF 160.00 zu machen.

Was berechtigt uns also, einen solchen Betrag zu verlangen? Ist es die Verpflegung? die bekannt teure Schweizer Organisation? Oder will sich das OK einfach etwas nebenbei verdienen?

Nehmen zB. 80 RadfahrerInnen an einem Brevet teil, führt das zu zahlreichen Kosten. Als Veranstalter benötige ich eine Bewilligung der kantonalen Behörden. Einige Kantone verzichten darauf, Einige erteilen die Bewilligung gratis. Alles in Allem kosten alle diese Bewilligungen rund CHF 1500.00. Das sind bei 80 Teilnehmenden bereits CHF 18.70/FahrerIn. Nicht schlecht oder? Als Veranstalter benötige ich eine Versicherung für Schäden, die im Rahmen meiner Veranstaltung verursacht werden. Weitere CHF 800.00 sind über die von Swiss Cycling verbilligte Versicherung fällig. Also weitere CHF 10.00/TeilnehmerIn. Ich habe also noch gar nichts Greifbares und schon muss ich von 80 Teilnehmenden CHF 28.70 haben...

Nun ja, das ist immer noch günstiger, wirst du sagen. Stimmt. Aber das ist noch nicht alles. Die Behörden verpflichten dich (zurecht), dafür zu sorgen, dass die Strassenverkehrsgesetze eingehalten werden. Zudem werden Auflagen bezüglich Zeiten und Teilnehmendenzahlen gemacht (Beispiel: Limitierung auf 1500 Teilnehmende für den Dreiländergiro im Bereich des Kt. Graubünden - vermutlich das Ende dieser Veranstaltung,
mehr vertragen die Strassen nun einmal nicht - es kann ja nicht sein, dass eine internationale Hauptverbindungssstrasse (Ofenpass) wegen einer kommerziellen Veranstaltung einen Tag gesperrrt wird und den anderen Reisenden stundenlange Umwege zugemutet werden.
Uri will das Alpenbrevet nicht mehr am angestammten Wochenende).
Das Alpenbrevet hat seit seiner Gründung bis zur Uebernahme durch das neue OK (welches auch "keinen Stein auf dem anderen" gelassen hat) vor wenigen Jahren immer am ersten Septemberwochenende stattgefunden - back to the Roots - das alte OK hatte sich beim Septembertermin wohl auch etwas gedacht.
Dass keine Gruppen über 3 oder 4 Personen zusammen fahren und den Verkehr behindern und zudem nicht nebeneinander fahren.
Normalerweise wird die Gruppengrösse auf 10 Personen limitiert. Schon das ist auf unseren Strassen eine grosse Gruppe. Wenn dann noch "Rennmässig" gefahren wird, wird's gefährlich - die Behörden haben Recht!
Ansonsten sei die Bewilligung für die kommenden Jahre fraglich. Sie verpflichten dich weiter, dafür zu sorgen, dass die Radwege benutzt werden. Wie um alles in der Welt soll ich das nun tun?

Mir fällt gerade nichts Anderes ein als eine Truppe von Kommissären auf die Strecke zu schicken. Ich miete mir also ca. 3 Autos und nötige meine Freunde, diese an dem Tag zu fahren. Ich muss also ein Reglement erstellen und dieses als Durchsetzungsauftrag an meine freiwilligen Helfer in den Autos weitergeben. Ach ja: 600km sind kein Pappenstiel - auch nicht mit dem Auto! Also muss ich zwingend noch für Ersatzfahrer sorgen.
Die Kommissäre sind eine Bedingung des RAAM für die Qualifikation... Noch nie wurden Randonneure durch Kommissäre beaufsichtigt - dies wird wohl auch 2012 nicht erfolgen.

Die Autos kann ich übrigens für je CHF 250.00 mieten. Also muss ich erneut CHF 9.40 aufschlagen (ohne Treibstoff). Wir sind mittlerweile bei 38.10.

Meine fixen Kosten belaufen sich nun schon auf über CHF 3048.00. Melden sich aber nur 50 Teilnehmende, muss ich nachträglich den Fehlbetrag nachkassieren. Wir sind also dann bei CHF 61.00/TeilnehmerIn.

Und ich habe immer noch nichts für meine Teilnehmenden getan. Die möchten noch ein gemeinsames Frühstück: nochmal CHF 10.00.

Die Liste lässt sich leider fast beliebig fortsetzen.

Dass wir uns Gedanken machen, ist klar. Aber für 15 Euro bzw. rund CHF 18.00 werdet ihr den Schweizer Radmarathon nie fahren können solange Sven und ich dafür verantwortlich zeichnen. Eine solche Idee ist eine Totgeburt!

Den ganzen Absatz könnte man auch so zusammenfassen: "Der Radmarathon ist seit seiner Gründung eine Veranstaltung mit einem hohen Qualitätssstandard. Qualität ist teuer. Verglichen mit anderen Langstreckenevents und gemessen an den Leistungen sind die Startgelder am Radmarathon aeusserst günstig. Wer billige Brevets will, soll nach D oder F gehen und wird feststellen, dass neben dem billigen Startgeld Kosten für Reise, Verpflegung etc. anfallen und das ganze schlussendlich teuerer wird, als ein Start am Radmarathon."

Bemerkung: an der letzten Brevetwoche haben rund 60 Teilnehmer teilgenommen - 3 Strecken - 180 Startgelder a CHF 18.00 = CHF 3240.00 Damit hätte sich bei einer Organisation wie in D oder F die Bewilligungen und Versicherung problemlos finanzieren lassen - das Frühstück hätte man allerdings weglassen müssen.
Aber wären es dann auch 60 Teilnehmende geworden?

Ich jedenfalls werde nicht an einem dieser Billig-Brevets teilnehmen. Ich möchte nämlich auch als Fahrer nicht Schuld daran haben, dass der organisierende Kollege dadurch ernsthafte Schwierigkeiten kriegen kann. Das ist schlicht egoistisch!
Blödsinn! Siehe oben und unten.

Strassenverkehr und Radveranstaltungen sind kein Spiel!

Wir vom Radmarathon sind nicht übervorsichtig. Die Verantwortung einfach an die Teilnehmenden zu delegieren ist keine Lösung, die vor Gericht stand hält. Sätze wie: "ich kann niemanden hindern, die Strecke abzufahren", taugen nichts.
Tatsache ist, dass an allen organisierten Veranstaltungen ungehindert (die Strassen sind für alle offen) "Schwarzfahrer" unterwegs sind, welche von der Planung und Streckenmarkierung profitieren aber nichts zahlen. Die ganz frechen bedienen sich sogar an den Kontrollpunkten.
Genausowenig die Unterschrift unter einen Zettel, auf dem steht: 'der Teilnehmer verpflichtet sich, für alle Schäden....'. Das ist juristischer Blödsinn.
Falsch. Ein persönlicher Haftungsverzicht zu Gunsten des Veranstalters, ob unterschriftlich oder stillschweigend durch die Einzahlung des Startgeldes ist für den Teilnehmer verbindlich.
Sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland. Als Veranstalter bin ich nach wie vor für das, was ich tue verantwortlich. Biete ich etwas an, muss ich auch dafür geradestehen! Das zu negieren ist naiv, dumm oder fahrlässig oder alles zusammen.
Verantwortlich (und versichert) ist der Veranstalter für Schäden, welche er oder seine Helfer selbst verursacht, und für Schäden, welche von Teilnehmern verursacht werden, sofern diese nicht eruiert werden können.

Der Radmarathon hat sich deshalb dazu entschieden, die Brevets bedarfsgerecht anzubieten. Dazu gehört auch die fast symbiotische Beziehung zwischen RAAM-Qualifikanten und Randonneuren, die sonst eigentlich wenig gemeinsam haben. Dazu gehört aber auch, dass wir Checkpoints errichten und bei der Gelegenheit alles anbieten, was ein Randonneur genauso braucht wie ein RAAM-Qualifikant. Dass die Verpflegung aber nicht nicht wie das Manna vom Himmel fällt, leuchtet ein. Auch auf einem der Billig-Brevets müsst ihr genug Kalorien und Nährstoffe kriegen, damit ihr die Veranstaltung auch schadlos übersteht. Ihr nehmt es von zuhause mit oder kauft es unterwegs.

Wir bieten das im Preis mit an. Zusammen mit einem Heer von 180 HelferInnen (also für zwei FahrerInnen einen Helfer/eine Helferin).
180 sind wohl etwas übertrieben - in den letzten Jahren waren es jeweils weniger als 100...

Randonneure sind auf sich selbst gestellt

Das mag stimmen. Es geht darum, die gewählte Strecke möglichst autark zu absolvieren1). Diese Definition, verehrte Leserinnen und Leser, gehört aber in eine Zeit um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts. Die Verhältnisse haben sich in den vergangenen 100 Jahren aber geändert.
Ja. Es gibt heute Teerstrassen, Tankstellenshops, Handys und GPS... Wie vor 100 Jahren muss jeder Teilnehmer jeden Meter der Strecke selbst fahren und schauen dass er nicht in einen Hungerast fährt und sich nicht verirrt. Ob die Verpflegung dabei aus dem Laden oder vom Checkpoint kommt ist weitgehend bedeutungslos.
Es ist auf unseren Strassen um Grössenordnungen gefährlicher geworden. Wir tragen dem Rechnung!
Falsch. Die Verkehrsdichte ist grösser. Die Zahl der Verkehrstoten war in CH, D, F um 1970 vier mal so hoch wie heute.

Selbst Paris-Brest-Paris, die Mutter aller Randonneurveranstaltungen, wird beschildert, hat Checkpoints und wird überwacht. Es bleibt noch zu erwähnen, dass diese Grossveranstaltung über ein Budget von schätzungsweise 1 bis 1.5 Mio CHF verfügt (und bestimmt müssen die auch sorgsam damit umgehen).

Verantwortung!

Jetzt kommt die ICH-Form... Erinnert mich an die Rhetorik der Politiker, bevor sie ihre Wahlversprechen brechen, und an die Doktrin der Generäle, bevor sie für die vom sicheren Bunker aus verheizten Truppen eine Tapferkeitsmedaille bekommen.
Ich möchte und werde nie in der Situation sein, dass ich im Falle eines Unfalles nicht alles getan habe, um den zu vermeiden. Dazu gehört, dass ich dir den Weg auf den Radstreifen zeige und dich nicht einfach deinem Schicksal überlasse. Dazu gehört, dass ich die Strecke ausschildere. Dazu gehört aber auch, dass du sicher sein kannst, dass ich alles getan habe, damit du unfallfrei und gesund ans Ziel kommst.
Blödsinn. Jeder Teilnehmer ist für sich selbst verantwortlich. Das Verhalten der Teilnehmer kann nur marginal, dasjenige der übrigen Verkehrsteilnehmer überhaupt nicht beeinflusst werden. Sicherheit gibt es nicht. Dazu müsste man jedem einen persönlichen Schutzengel mitgeben. Oder viel einfacher: auf die Durchführung verzichten.
Sven, Fritz und ich haben den Kilchzimmersattel beispielsweise gestrichen, weil wir uns nicht sicher waren, ob wirklich alle FahrerInnen unfallfrei hoch- und wieder runterfahren.
Falsch: Hochfahren sollte, abgesehen von bis zu 20% Steigung, nicht problematisch sein... Einige Selbstunfälle im letzten Jahr haben gezeigt, dass nicht alle intelligenzmässig, fahrtechnisch und vom Material her in der Lage sind, eine steile schmale Bergstrasse hinunterzufahren. Mit der Verschiebung des Startortes und der daraus resultierenden späteren Durchfahrtszeit wären einige hirnlose Abfahrer auf einen Strom von Ausflüglern getroffen, welche den Berg hochfahren. Tote wären vorprogrammiert gewesen. Deshalb habe ICH mich für eine Streckenänderung stark gemacht.
Wir ermuntern unsere Kommissäre, darauf zu achten, dass niemand auf dem Rad einschläft (das ist mir schon passiert, einige von euch kennen das auch). Unsere Leute an den Checkpoints achten zudem darauf, dass ihr fahrtüchtig bleibt.

Solange alles gut geht, gibt es auch ohne Bewilligung kein Problem. "Wo kein Kläger, da kein Richter", sagt man. Um es aber mit den von meiner sechsjährigen Tochter begeistert aufgenommenen Worten von Wilhelm Busch2) zu sagen: 'wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe!', möchte ich auch nie in diese Situation geraten. Ich meinerseits möchte auch, dass auch eure Töchter und Söhne ohne Sorge an das Ende sehen...

So stehe ich ein für den Schweizer Radmarathon mit seinem Konzept. Es ist für Randonneure genauso wie für andere Langstreckenfahrer gemacht und hat sich bewährt. Ein gewissens Restrisiko bleibt, wie auch unsere Vorgänger im OK auf tragische Weise lernen mussten.
Das "Restrisiko" war ein tödlicher Unfall. Das OK musste dabei nichts lernen, sondern konnte feststellen, dass es alles richtig gemacht hatte.
Juristisch war die Organisation, das Reglement, die Streckenmarkierung, das Briefing der Teilnehmer 100% wasserdicht.
Dies ist MIR als Verantworlichem für die Sicherheit und die Strecke in mehreren Gesprächen mit der Polizei und dem zuständigen Untersuchungsrichter bestätigt worden. Das OK des Radmarathon wurde in keiner Weise belangt.
Durch die Durchführung der Veranstaltung ist ein Mensch zu Tode gekommen. Daraus erwächst eine moralische Schuld, welche sich weder mit Versicherungen noch mit schönen Worten aus der Welt schaffen lässt.

Mit viel Liebe für den Langstreckensport

Adi und Sven

1) Definition im Wiki
2) Max und Moritz im Wiki